Metallica 72 Seasons und noch kein bisschen leise

 

Warum das neue Album „72 Seasons“ Spaß macht, obwohl es eigentlich „nur“ Metallica ist. Plus Kurzkritik von JEDEM der 12 Tracks.

Hey, es ist das neue Metallica-Album und nicht nur die Metal-Welt scheint dafür still zu stehen. Selbst US-Talkshow-Host Jimmy Kimmel hat gleich eine ganze Woche für die vier Jungs freigeräumt, um jeden Abend Tracks aus dem Werk live zum Besten zu geben. Aber okay, die Band aus San Francisco ist nun mal auch nach über 40 Jahren eine der stärksten Kräfte des Rock. Ihre weltweite Anziehungskraft macht sie zu einem ständigen Einfluss auf das Metal-Genre.

Jetzt sind die Mannen um Sänger James Hetfield mit ihrem 11. Studioalbum „72 Seasons“ zurück. Für eine Band, die 1981 gegründet wurde und die so einflussreich ist wie Metallica, scheinen 11 Alben wenig zu sein, aber wenn man die Qualität und auch Unterschiede dieser Werke berücksichtigt, muss man doch bilanzieren: Metallica gehören schlicht in den Metal-Olymp. Viele behaupten, die US-Combo hätte mit dem 91er „Black“-Album eine komplette Kehrwende weg vom Trash-Metal vollzogen. Einige Hardcore-Fans sprachen sogar von einem „Ausverkauf“. Doch bereits mit „…and Justice for All“ von 1988 verließ die Band den Highspeed-Trash von „Kill ‘em all“ (1983) und „Ride the Lightning“ (1984) zugunsten von mehr Breite und mehr epischen Songstrukturen. Ein Weg der bereits (konsequenter Weise) auf dem Vorgänger “Master of Puppets“ (1986) erste Impulse bekommen hatte. Weich und wirklich anbiederisch kommerziell ist die Musik von Metallica meiner Meinung dabei aber nie geworden.

Mut zum eigenen Weg

Denn, eine Band, die (zumindest musikalisch) den kommerziell sicheren Weg gehen will, die lässt ein „Black-Album“ mit Charterfolgen und Radio-Plays nicht einfach hinter sich und haut als nächstes mit „Load“ (1996) und „Re-Load“ (1997) zwei Werke raus, die zwar den einen oder anderen potenziellen Hit beherbergen („Untill it Sleeps“, „The Memory Remains“), sich stilistisch aber vom Erfolgsrezept entfernen.

Dass Metallica dann mit „St. Anger“ (2003) scheinbar so gar keine (nochmal musikalisch) kommerziellen Hintergedanken zu haben schienen und den vielleicht ehrlichsten, wütendsten und am wenigsten Metallica-artigen Longplayer veröffentlichten, zeigt den Mut der Band, ihr eigenes Ding durchzuziehen.

Dennoch schien das meist negative Feedback zu „St. Anger“ die Band nachhaltig beeindruckt zu haben: „Death Magnetic“ (2008) und „Hard Wired to Self-Destruct“ (2016) markierten eine Rückkehr zum alten Metallica-Sound. Aber nicht zu einer „Unforgiven“-Softrock-Combo. Die Grundfesten der Vier war und blieb immer: Harter Metal mit eigenem Touch.

Um diese Zeit wurde leider dennoch auch der Fokus auf Kommerz immer größer. Hohe Ticketpreise, unendlich viele Editionen und Boxen der Platten und jede Menge Merchandise (KISS lässt grüßen) füllten die Kassen. Das soll aber mal an anderer Stelle intensiver Thematisiert werden.

Im Zentrum steht James Hetfield

Mit „72 Seasons“ zeigen Metallica, dass sie, obwohl sie an einem Punkt in ihrer Karriere angelangt sind, an dem sie die Uhr zurückdrehen und immer noch Verkaufszahlen erzielen könnten, tatsächlich den Antrieb und die Ethik haben, weiterhin zu versuchen, aufregende Musik zu machen. Tatsächlich haben James Hetfield, Kirk Hammett, Lars Ulrich und Robert Trujillo noch immer den Kampfgeist. Auch wenn sich das ausgerechnet bei der Vorstellung ihrer neuen Scheiben nicht ganz so manifestierte.

„72 Season“ ist ein Werk geworden, dass keine richtigen Schwächen, dafür aber einige richtig starke Songs mitbringt. Vor allem fühlt es sich mehr als eine Einheit an, als es die vergangenen Alben getan haben. Mehr als sonst steht Sänger James Hetfield im Zentrum. Das gesamte Album präsentiert sich inhaltlich wie ein Blick in die dunklen, aber kämpferischen, Abgründe des Sängers. Zorn, Verzweiflung, Einsamkeit und der Kampf dagegen sind ein durchgehendes Motiv.

Die Scheibe ist kein Konzeptalbum. Und dennoch zieht sich rein textlich ein roter Faden durch die Tracks, die alle am Ende einen Blick in die Seele des Frontmannes gewähren. Zusammen mit dem immer präsenten, einzigartigen Metallica-Sound ergibt das eine schlüssige Einheit. Vielleicht ja doch ein Konzept…?

Einmal ALLES mit Robert

Ich durfte bei einer der vielen, weltweiten Kino-Premieren am 13. April 2023 dabei sein, wo das neue Album in voller Länge und mit eingespielten „Track by Track“-Kommentaren der Bandmitglieder vorgestellt wurde. Diese helfen bei der Beurteilung der Songs nicht wirklich weiter, weil sie eher banal gehalten („Ich liebe das Intro von diesem Song“, „Der Riff in der Mitte ist das Beste, was ich je mit Metallica gespielt habe“) und nicht wirklich vorbereitet waren.

Dafür war Bassist Robert Trujillo im Berliner Zoopalast live anwesend und gab den Fans im Anschluss das, was sie noch lieber wollten als die neue Musik: Ein Autogramm, bevorzugt auf das neue Album und ein Foto mit ihrem Star. Das habe auch ich mir natürlich nicht entgehen lassen und es war ein schöner Abschluss des Erstkontakts mit „72 Seasons“.

Die zur Premiere gezeigten Videos zu den Songs sind keine Erwähnung wert. Es sind dieselben wie bei den YouTube-Links zu jedem Song, die ihr unten findet. Was meint Ihr? Dafür war der Sound klasse (Dolby Atmos).

Deshalb halte ich es wie die Jungs und gebe hier mal meine ganz eigene Track-by-Track-Einschätzung ab.

Insgesamt gebe ich dem Album eine 8/10.

Track-by-Track

„72 Seasons“ (8/10)

„72 Seasons“ beginnt mit dem Titeltrack des Albums, der dem Hörer tatsächlich das Gefühl gibt, die Achterbahn vieler Jahreszeiten zu durchlaufen. Zu Beginn des Songs erklingen einige kühle, dissonante Geräusche, bevor Hammetts scharfe Gitarren einsetzen. Der Song nimmt den Hörer mit auf eine musikalische Reise, die zwischen schnellen, thrashigen Riffs, Gitarrensoli und wütenden, musikalischen Breakdowns wechselt. Macht Spaß!

„Shadow Follow“ (7/10)

Schon früh wird klar, dass „72 Seasons“ kein experimentelles Album ist. Aber der nächste Song, „Shadows Follow“, birgt ein wenig Experimentierfreude, wobei Metallica einen britischen Heavy-Metal-Sound an den Tag legen. Die Rhythmus-Gitarren (wenn James und Kirk zusammen agieren) bilden die treibende Basis dieses Midtempo-Rock-Tracks. No Thrash insight, but I like it! Und am Ende ja auch doch: Metallica.

„Screaming Suicide“ (9/10)

Als nächstes erforschen Metallica mit „Screaming Suicide“ den Groove Metal, bleiben aber ihren Thrash-Wurzeln treu, mit schnellen Gitarrenriffs. Außerdem gibt es bei etwa 1 Minute und 52 Sekunden ein atemberaubendes Gitarrensolo von Hammett zu hören, das jedem Metalhead ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

„Sleepwalk My Life Away“ (7/10)

Rock- und Metalmusik waren schon immer im Blues verwurzelt, und „Sleepwalk My Life Away“ zollt diesen Wurzeln Tribut. Es ist einer der unterhaltsamsten Songs des Albums und bietet ein einfaches Gitarrenmuster, das eingängig ist und Spaß macht. Außerdem gibt es einige fantastische Soli von Hammett zu hören, die zu den besten des Albums gehören.

Metallica nennen fast unaufhörlich „Black Sabbath“ und die New Wave of Britisch Heavy Metal als Inspiration. Ich tue mich schwer, das durch den sehr eigenen Metallica-Sound oft zu hören, aber hier blitzt das zumindest mal stärker auf.

„You Must Burn!“ (8/10)

„You Must Burn!“ verdient das Ausrufezeichen im Titel, denn es ist eine Hymne, bei der die Fäuste fliegen. Dieses Stück erinnert an Metallicas „…And Justice for All“-Ära. Tragend, breit und mit einer ordentlichen Portion Low-Tempo-Punsh!

„Lux Æterna“ (9/10)

„Lux Æterna“, der nächste Track von „72 Seasons“, war die erste Singleauskopplung (sagt man eigentlich noch Single?) des neuen Albums und ist den Fans daher bestens bekannt. Dieser Song ist purer Thrash, mit superaggressiven Gitarren, einem schnellen Tempo und pulsierenden, perkussiven Beats. Alles, was ein guter Metallica-Song braucht und der perfekte Anfixer für das Album.

„Crown of Barbed Wire“ (6/10)

„Crown of Barbed Wire“ zieht den Hörer mit einem sich wiederholenden und hypnotischen Riff und Beat in seinen Bann. Hier ist Hetfields Stimme entspannt, während sie von Note zu Note auf und ab gleitet. Lars Ulrich bezeichnet den Track als perfekten Opener für die zweite Seite der Cassette. Cassette? Ja, Ihr habt richtig gelesen. „72 Seasons“ ist auch als Cassette erhältlich. Kein Novum, aber dennoch erwähnenswert, oder?

„Chasing Light“ (6/10)

Anschnallen! Denn „Chasing Light“ wird angetrieben von purem, unverwechselbaren Thrash gesprenkelt mit einer Prise Groove. Dennoch der vielleicht austauschbarste Song der Scheibe. Nicht schlecht, aber auch nicht herausragend.

„If Darkness Had a Son“ (9/10)

“Die Zeile trage ich schon lange Zeit als Notiz mit mir rum. Jetzt habe ich den perfekten Song dafür gefunden,“ sagt James Hetfield zur Entstehung. Und man merkt diese dem Track an. Für diejenigen, die nach einem Moment suchen, der über den Thrash hinausgeht, bietet „If Darkness Had a Son“ starke Momente. Dieser Song ist ein wahres Juwel und enthält einige der stärksten Vocals von James Hetfield, der darauf besteht: „If darkness had a son, here I am. Temptation is my Father“ Fast alle Bandmitglieder geben an, sich auf die Live-Massen zu freuen, die ihnen „TEMPTATION…TEMPTATION!“ aus vollen Hals zu gröhlen! DAS ist Metal, schätze ich!

„Too Far Gone?“ (7/10)

Wenn sich das Album dem Ende nähert, schalten Metallica einen Gang zurück, was erfrischend ist und auf diesem sonst so unerbittlich schweren Set auch dringend nötig ist. „Too Far Gone?“ ist das nächste Stück, und der Höhepunkt dieses Stücks ist Hammetts schlüpfriges Gitarrensolo, besonders nach einem Drittel des Stücks. James Gesang klingt in kurzen Passagen fast ein wenig nach „Through the Never“.

„Room of Mirrors“ (6/10) & „Inamorata“ (7/10)

In der Zwischenzeit zeigen sowohl „Room of Mirrors“ als auch „Inamorata“ Hetfields tiefste, introspektive Fragen und Gefühle. „Room of Mirrors“ ist eine wütende Hymne, während Hetfield bei „Inamorata“ inmitten von halbakustischen Klängen singt.

Eine Ballade gibt es auf „72 Seasons“ nicht, aber „Inamorata“ ist zumindest ein bisschen ruhiger. UND mit 11:10 das längste Stück, das Metallica je auf einem Album gepackt haben. Ich liebe epische Stücke, brauche aber dann doch etwas mehr Abwechslung dazwischen. Bei einem Film hätte ich gesagt: Ein Drittel kürzer hätte auch gereicht.

Zusammenfassend lässt sich sagen: „72 Seasons“ ist ein Metallica-Album. Mit anderen Worten, hier gibt es nicht viel Neues, aber das ist eigentlich eine gute Sache. Metallica sind nicht ohne Grund so erfolgreich, und das liegt nicht daran, dass sie ihren Sound mit jedem Album komplett verändern (außer bei einigen wenigen, weniger erfolgreichen Ausnahmen, siehe oben). Sie haben es nicht nötig, das Rad neu zu erfinden. Sie sind das Rad. Metallica haben so viel von dem geschaffen, was Metal heute ist. „72 Seasons“ ist ein klassisches Metallica-Album, auf dem sie das tun, was sie am besten können: Hart rocken!

Die Doppel-LP in schwarzem Vinyl (natürlich unsigniert) bekommst Du u. a. hier:

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Punkt!

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