Paramore „This is Why“ – Im Grunde sind wir alle am Arsch, aber…

Nach fünf Jahren Funkstille sind Paramore populärer als je zuvor – und sie haben ein Album geschmiedet, das ihrem jetzt übergroßen Status entspricht und ihre Angst und Wut für die Arena-Bühnen aufpoliert. Rockig, trotzig und tanzbar – geht das zusammen?

„This Is Why“, das sechste Album der Band, ist ein starker und schillernder Wiedereinstieg für ein Trio, das bisher immer nach dem Motto gelebt hat: Einen raushauen und dann wieder abhauen! Also Album herausbringen, mit glühender Inbrunst auf Tour gehen und dann für Zeiträume verschwinden, die sich für treue Fans wie eine Ewigkeit anfühlen.

Doch Paramores Verschlossenheit hat Methode. Jedes Mal, wenn sie wieder auftauchen, scheinen sie an Bedeutung zu gewinnen. Denn sie buchen die größten Gigs ihrer Karriere. Beispielsweise mit zwei Abenden im Madison Square Garden – ganz zu schweigen von der Eröffnung von Taylor Swifts Mammut-Tourauftakt im vergangenen Jahr. In den USA sind Paramore Superstars. Und nun ist die Band konsequenterweise bei den Grammy 2024 als „Beste Rockband“ ausgezeichnet worden.

Sängerin Hayley Williams, Gitarrist Taylor York und Schlagzeuger Zac Farro haben auf „This is Why“ eine ganze Reihe Songs im Gepäck, die die Grenzen des Rocks neu verlegen und viele andere Genres mit einbeziehen.

Die ersten vier Songs zeigen Williams (34) als Protagonistin, die aus ihrem Pandemie-Schlaf erwacht und eine Welt vorfindet, die noch schlimmer ist, als sie sie verlassen hat.

„This is why I don’t leave the house / You say the coast is clear but you won’t catch me out“, jammert sie verzweifelt im Titeltrack und beklagt die Entwicklung der Internetkultur und all die Beleidigungen, die ihr entgegengeschleudert werden: „Wenn du eine Meinung hast, kannst du sie dir sonst wo hinstecken.“ Zeitgeist!

Das noch bissigere „The News“ bleibt der Post-Punk-Ästhetik treu und verurteilt den 24-Stunden-Nachrichtenzyklus, den Williams als „ausbeuterisch, performativ … und wir wissen nicht einmal die Hälfte davon“ bezeichnet und zugibt, „I feel useless behind this computer.“

„Running out of Time“ ist im Vergleich dazu verspielt, eine Hymne für Feinde der Pünktlichkeit, in der Williams all die Besorgungen aufzählt, die sie scheinbar nicht erledigen kann.

Zum Abschluss des Vier-Track-Laufs konstatiert Williams auf „C’est Comme Ça“ – französisch für „es ist, was es ist“. Der Track stellt seine geriatrische Lyrik („In einem einzigen Jahr bin ich hundert Jahre gealtert“) einem treibenden, hohen Tempo im Refrain („Na Na Na Na“) gegenüber.

Der Rest des 10-Track-Albums geht über die tägliche Routine von Williams hinaus und fordert zur Rebellion gegen die Macht auf – ein vertrautes Thema auf den Platten der Band. „Big Man, Little Dignity“ ist subtiler und erinnert mit seinen Bassklarinetten- und Flötenverzierungen an Tame Impala. Aber der grandiose Doppelschlag von „You First“ und „Figure 8“ ist direkter, mit schmetternden Gitarren, hochfliegenden Hooks und einer entschieden spirituellen Williams, die seufzend singt: „Karma’s gonna come for all of us / And I hope she comes for you first“. Ein guter Schuss Trotz ist immer dabei.

Für den Platz der herzzerreißenden Ballade, von denen es auf jedem Paramore-Album mindestens eine gibt, bietet „Liar“ die ganze filmische Majestät und Traurigkeit eines Lana Del Rey-Songs, unterlegt mit einem spannend eigenen Riff.

Auch der Abschluss „Thick Skull“ bleibt bei der dezidierten, sehr persönlichen Betrachtung unserer Gesellschaft. Sie sei ein „Magnet für zerbrochene Stücke… angezogen von zerbrochenen Menschen.“ 

This Is Why“ ist ein musikalischer Genuss. Die Band trägt die tiefer gehenden, ja schweren, Geschichten, mit einer paradoxen Leichtigkeit vor. Wenn man Williams folgt, sind wir im Grunde alle am Arsch. Doch Combo aus Tennessee agiert so geschickt mit Klängen und Rhythmen, dass man am Ende doch irgendwie mit einem positiven Gefühl hinterlassen wird. Seltsam und zugleich faszinierend.

(9/10)

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Punkt!

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